Hahnenkämpfe


Ich weiß nicht, liebe Leserin, lieber Leser, ob du Ähnliches erlebtest in deiner frühen Schulzeit, wir jedenfalls maßen uns während der Pausen auf dem Schulplatz oft in Hahnenkämpfen. Allerdings taten wir das nicht beständig, Tag für Tag gewissermaßen, sondern phasenweise. Es wechselte mit dem Verstecken- oder Fangenspiel ab oder den beliebteren Tipverstecken und Räuber-und-Schandit, dessen korrekteren Namen „Räuber-und-Gendarm“ ich erst viel später erfuhr. Auch pflegten wir öfter das Murmelspiel oder das Spindop-Jagen.

Unsere Hahnenkämpfe waren Wettkämpfe zwischen jeweils zwei Jungen in einem rechteckigen Geviert von maximal 3 x 2 qm. Mit verschränkten Armen auf einem Bein hüpfend, versuchte der eine den anderen aus dem Geviert heraus zu schubsen. Dabei mussten die Arme verschränkt bleiben und das Schubsen durfte nur frontal erfolgen, nicht hinterrücks gegen den abgewandten Gegner. Jeder der beiden verfügte über eine Ruhezone, dem sogenannten Bar, von höchstens einem Viertel Quadratmeter, in der er sich für einen Moment, maximal 10 Sekunden („Ich zähle bis 10“!) erholen durfte, ohne dass der Gegner ihn attackieren konnte. Gesiegt hatte der Junge, der den Kontrahenten aus dem großen Geviert heraus geschubst hatte. Gewonnen hatte man auch, wenn der Gegner sich dauernd abwendete oder sonstwie durch Passivität den Kampf unmöglich machte.

Ich erinnere mich noch daran, dass wir regelrechte Hahnenkampf-Turniere durchführten, in denen nach einem Punkte- oder K.o.-System der Sieger ermittelt wurde. Eigentlich konnten sich niemand aus einer Schulklasse dem Wettspiel entziehen; ich erinnere mich nur an zwei Klassenkameraden, die das beständig taten. Es wurde allerdings hochnäsig über sie gelächelt, auch wurden sie ob ihrer Ängstlichkeit oder Schwäche vielfach massiv gehänselt.

Wie in jeder Sportart, gab es auch bei unseren Hahnenkämpfen regelrechte Könner. Die schafften es regelmäßig, durch ihre körperliche Kraft jeweiligen Gegner zu besiegen und so als Gewinner zu triumphieren. Allerdings gab es auch Jungen, die durch Raffinesse reüssieren konnten. Sie wichen nämlich oftmals ihren stärkeren Gegnern geschickt aus und ließen deren ungestümen Angriffe somit ins Leere laufen. Und dann geschah es eben, dass der eigentlich stärkere Kontrahent aus dem Geviert heraus taumelte und eine Niederlage bezog. Diese zuletzt beschriebene Taktik musste man vor allem anwenden, wenn man gegen einen unserer zwei Dicken kämpfen musste. Aus dem Geviert heraus zu schubsen, das schaffte man wegen ihrer Körperfülle und wegen ihres Körpergewichts nicht. Sie musste man durch behändes Hüpfen so in Rage bringen, dass sie ihre Körpermasse so richtig in Schwung brachten. Denn dann konnte man ihnen, am Rand des Gevierts wartend, geschickt ausweichen, so dass sie durch ihren eigenen Schwung aus dem Geviert hinaus hüpften.

Manchmal gerieten wir auch in Streit wegen der Hahnenkämpfe. Und manchmal verführte uns falscher Ehrgeiz zu unfairem Verhalten. Einige Male verletzten sich auch Akteure. Mir ist in Erinnerung, dass ein Junge ´mal regelwidrig von hinten so stark geschubst wurde, dass er aus dem Spielfeld taumelte, mit dem Gesicht gegen ein Fenstersims prallte und eine blutende Fleischwunde direkt oberhalb der Augenbraue erlitt.

In den Mädchenschulen der damaligen Zeit wurde dieses Pausenspiel offenbar nie ausgeübt. Zwar hatte ich damals zu Mädchen praktisch keinen Kontakt, habe sie also auch nicht fragen können, aber meine Schwester versicherte mir auf Befragen glaubhaft, dass derartige Kindereien an Mädchenschulen unüblich seien. Dass sie hierbei höhnisch lachte und überheblich die Brauen hochzog, will ich hier nur am Rande erwähnen.

Hahnenkämpfe sind folglich wohl typisch männliche Aktivitäten. Das wurde mir auch bestätigt durch meine Beobachtungen im Hühnerstall meiner Oma: Auch da bedrängten sich nur die zwei Hähne, um sich einander vom Hühnervolk fern zu halten, um sich selbst in den Blickpunkt der Hühner zu bringen. Und die Hähne hüpften dann auch mit der Brust heftig gegeneinander, so ähnlich wie wir es bei unseren Hahnenkämpfen tatet. Warum meine Oma sich allerdings zwei Hähne im Stall hielt, das kann ich heute nicht mehr sagen.

Eigentlich haben Hahnenkämpfe nichts auf de Hacken, wie man im Münsterland sagt. Aber gelegentlich absolvierten wir sie, um nochmals auf meine Schulzeit zu sprechen zu kommen, auch während des Sportunterrichts unter Anleitung unseres Sportlehrers. Dabei wollte er allerdings wohl nur die bei uns so beliebten Hahnenkämpfe nutzen, um uns zu sportlichem Tun zu motivieren. Vielleicht wollte er uns auch damit zeigen, dass man auch Alltäglichkeiten zur sportlichen Ertüchtigung nutzen kann. Denn das bewirken Hahnenkämpfe gewiss: sie trainieren Kraft und Kondition, sie fördern Körperbeherrschung und Bewegungskoordination. Sie sind also recht wertvoll.

Vielleicht wollte unser Lehrer uns mit der Hahnenkampfmethode aber auch nur zum Nachdenken motivieren. Ich erinnere mich nämlich daran, dass wir während seines Deutschunterrichts eine Kurzgeschichte besprachen. Darin wird erzählt, wie sich die Honoratioren einer Stadt wegen vieler Kleinigkeiten streiten, um das Verlegen eines Bootstegs etwa oder um den Ausbau eines etwas zu schmalen Wegs oder um das richtige Saatgut für eine Brachlandwiese. Darüber und um vieles mehr streiten sie und werden zuweilen feind zueinander, die dringende Renovierung des Flussdeichs jedoch vergessen sie. Und so kommt, was kommen muss: Der Fluss tritt eines Frühjahrs so stark über die Ufer und schwemmt den Mutterboden großer Felder weg.

Unnötige Hahnenkämpfe hätten erforderliche Arbeiten verhindert, fasste unser Lehrer die Lehren dieser Erzählung zusammen.

Ich muss häufig an diese Erzählung denken und an die Lehre, die unser Lehrer daraus zog. Vor allem dann denke ich daran, wenn wir uns in Hahnenkämpfe verstrickt haben. Denn das geschieht oft, nicht selten auch bei uns.

Herzlichst, dein
Epi Bördemann
- Vorsitzender -

Quelle: TuS Aktuell Nr.6

(ab, 20.10.2016)