Wichtig ist die Hoheit auf dem Platz


Aufzeichnung eines am 26. September 2016 geführten Gesprächs mit Carsten Winkler, dem neuen Trainer unserer Westfalenligamannschaft.

„Es war schön, wieder zurück zu kommen und so herzlich hier empfangen zu werden“, stellt er zu Beginn unseres Gesprächs fest. Und ein wenig klingt er wie jemand, der zufrieden ist, nach langer Zeit wieder heimatliche Gefilde betreten zu haben. Als E-Junge habe er im TuS mit dem Fußballspiel begonnen und sei dann bis zum 23. Lebensjahr hier bei uns aktiv gewesen. Zeitweilig sei diese Aktivität sehr intensiv gewesen: „Ich war eigentlich in jeder freien Minute auf dem Fußballplatz. Und so war's schon wie eine Rückkehr für mich“, sagt er und merkt an, dass er es erstaunlich und auch positiv fände, dass noch immer dieselben Menschen so wie früher bei uns aktiv seien.

Doch es sind nicht nur diese Erinnerungen, die ihn animieren, bei uns zu arbeiten, es ist wohl auch unser Westfalenligateam: „Die Mannschaft hat sich natürlich gegenüber früher verändert. Einige Spieler, die ich aus der Jugend her kenne, signalisierten mir in zufälligen Gesprächen immer mal wieder, dass es wohl erfreulich sein könnte, wieder einmal zusammen zu arbeiten. Und jene Spieler, die ich erst jetzt kennenlernte, schätze ich sehr. Es ist eine sehr sympathische Mannschaft. Es macht sehr viel Spaß, mit ihr zu arbeiten.“ Genau das gälte auch für das Trainer- und Betreuerteam, führt er weiter aus. Und so könne er nach dem ersten Vierteljahr beim TuS voller Überzeugung sagen: „Ich fühle mich richtig wohl, hier im TuS Hiltrup arbeiten zu dürfen.“

Positiv wertet Carsten jedoch auch, dass er etliche Jahre nicht im TuS Hiltrup aktiv war: „Ich fand es sehr wichtig, auch mal woanders hin zu kommen. Ich habe dadurch meinen Horizont erweitern können, ich habe andere Vereinsstrukturen kennen gelernt, andere Probleme aber auch andere Erfolge und Dinge, die richtig gut gelaufen sind.“

Er verkennt den hohen Anspruch nicht, dem er sich als neuer Chef eines bestehenden und durchaus erfolgreichen Kollektivs stellen muss. Ebenso verkennt er nicht, dass sich die Struktur dieses Kollektivs eben durch sein Hinzukommen verändert, ja sich verändern muss. Er ist aber sehr davon überzeugt, diesem hohen Anspruch und den gestellten Aufgaben gerecht zu werden. „Natürlich bin ich ein anderer Typ als mein Vorgänger. Und damit muss der ein oder andere Spieler gewiss erst ´mal zurecht kommen. Er muss sich neu anpassen, er muss sich neu finden in einem neuen Konstrukt. Ich finde auch, dass die Sportart Fußball sehr komplex ist. Als Trainer muss ich die 25 Spieler der Mannschaft erst richtig kennenlernen, und diese eben auch mich und beiderseits in unterschiedlichsten Situationen. Und dann habe ich schließlich wohl auch Verhaltensweisen, die jene Spieler, die nicht so viele Spielanteile erhalten, kritisch beurteilen, während andere, die überraschend häufig spielen, zufrieden sind. Natürlich habe ich auch andere Vorstellungen vom Fußballspiel als mein Vorgänger. Auch stelle ich sicher andere Forderungen an die Spieler als er. All´ dieses habe ich den Spielern beschrieben und auch, was ich von ihnen auf den verschiedenen Positionen erwarte. Und da gibt es dann jene Spieler, die dieses für sie neue Anforderungsprofil rasch erfüllen, während andere das nicht so schnell schaffen. Dazu kommt ja auch, dass wir einige Neuzugänge haben, die in die Mannschaft drängen. Und somit muss das Team sich neu finden. Das kann gewiss dazu führen, dass der ein oder andere, der sich in den letzten Jahren unter den ersten elf sah, zunächst hinten dran ist. Aber die Chancen, sich in den Vordergrund zu spielen, sind natürlich immer gegeben.“

Die sportlichen Potentiale seines Teams bewertet Carsten sehr hoch. Im Vergleich zur Mannschaft des BSV Roxel, die er im letzten Jahr als „eingeschworene Einheit“ trainiert habe, sei sein heutiges Team fußballerisch wesentlich stärker. „Zum großen Teil sind die Spieler wesentlich jünger als die Spieler in Roxel. Die sind handlungsschneller, die sind physisch schneller. Das merke ich in jeder Trainingseinheit. Was uns allerdings noch fehlt, ist die Hierarchie auf dem Platz. Beispielsweise merkte man das im gestrigen Spiel gegen SV Zweckel: Da kamen plötzlich ein paar Probleme auf. Und schon ging es eher darum, Schuldzuweisungen vorzunehmen gegen den Mitspieler oder Schiedsrichter, als sich gemeinsam auf die gestellten Aufgaben zu fokussieren.“

„Es wird also eine große Aufgabe des Trainerteams sein, eine Mannschaft auf den Platz zu bringen, die auch in schwierigen Situationen immer an einem Strang zieht. Ich glaube, das ist zur Zeit die größte Baustelle bei uns. Fußballerisch sind wir richtig gut, aber es gelingt uns noch nicht immer, dieses auf dem Fußballplatz zu bringen. Wir haben zwar die Führungsspieler dafür, wir sind aber noch nicht so gefestigt, um es 90 Minuten lang zu verwirklichen. Zweimal schafften wir das, gegen Preußen und gegen Haltern. Da war schon in der Kabine eine große Energie zu spüren. Da wollten alle gewinnen. Da merkte ich: ´Du bist als Trainer eigentlich überflüssig. Die machen es selbst.´ Da wurde untereinander besprochen, beratschlagt und korrigiert. Jeder fokussierte sich auf´s Spiel. Doch dann gibt's auch Spiele, da wirkt die Mannschaft leblos und kein Spieler ergreift die Initiative, um das Ruder herum zu werfen. Das hatten wir phasenweise während des letzten Spiels. Es kam der Schlendrian in unser Spiel und niemand bäumte sich dagegen auf. Woran das lag, weiß ich noch nicht so genau.“

Vor der Klasse der Westfalenliga hat Carsten großen Respekt, er ist aber auch sicher, dass unsere Mannschaft eine gute Rolle in ihr spielen kann. Allerdings schränkt er ein und nimmt sein Team unmissverständlich in die Pflicht: „Wenn wir an einem Strang ziehen und gemeinsam durch dick und dünn gehen, dann können wir jeden Gegner in der Liga schlagen. Aber wenn nur einer ausbricht und der Meinung ist, ich mache heute ´mal ein bisschen weniger als sonst, wenn also das soziale Faulenzen bei uns einkehrt, dann können wir gegen jedes Team auch verlieren.“

„Ich bin ein Typ, dem Teamwork sehr wichtig ist. Damit meine ich zum Einen die Arbeit mit der Mannschaft, zum Anderen die Arbeit mit dem Trainerteam.“ So beantwortet er meine Frage nach seiner Arbeitsweise. Er müsse zwar letztlich alle Entscheidungen bezüglich der Mannschaft treffen und diese auch vor Einzelnen, vor der Mannschaft und dem Verein vertreten, er bezöge aber sehr stark die Meinungen des Trainerteams damit ein. „Norbert ist ein ganz wichtiger Ansprechpartner aufgrund seiner Erfahrung. Ich spreche mit Andy Dawecke viel über unsere Torhüter. Mit Cristina, mit der ich ja durch unsere sportwissenschaftliche Ausbildung einen gemeinsamen Background habe, unterhalte ich mich viel. Auch mit unseren Physios Uta Anfang und Nadine Vaas kann ich mich auf Augenhöhe austauschen, weil ich auch sportmedizinisch ausgebildet bin. Zu Björn Schunke, der sich um die Schwingungen und Atmosphäre innerhalb der Mannschaft und ihrer Gruppen kümmert, halte ich regen Kontakt. Darüber hinaus spreche ich häufig mit Sven Kleine-Wilke, dem Trainer unserer Zweiten, dessen Meinung ich sehr schätze.“ So pflegt er ganz offenbar einen kooperativen Führungsstil, wodurch er seinen Wissensstand ständig erweitert und seine Mitarbeiter mit in die Verantwortung nimmt.

Carsten plant seine sportpädagogische Arbeit sowohl didaktisch als auch methodisch. Zwar würde zumeist ganzheitlich gearbeitet, stets stände die einzelnen Übungseinheit aber unter einem besonderen taktischen Schwerpunkt, dem Mittelfeldpressing beispielsweise oder der Spieleröffnung, dem Übergangsspiel. Natürlich müssten alle diese Inhalte ständig wiederholt und automatisiert werden. Generell stände jede Übungseinheit unter dreifacher Fragestellungen: Was machen wir? Wie machen wir das? Wozu machen wir das? Und in der Beantwortung dieser Fragen läge dann auch der Zugewinn eines jeden Spielers. Auch in jeder Woche wird unter Carsten planvoll gearbeitet. „In einer normalen Trainingswoche müssen dienstags jene Spieler regenerieren, die sonntags voll gespielt haben.“ Die übrigen Spieler, die nicht voll oder gar nicht eingesetzt wurden, würden entsprechend weniger regenerieren und im Übrigen sportliche Fähigkeiten wiederholen. „Donnerstags liegt dann der Schwerpunkt auf dem Erwerb von Ausdauerleistungsfähigkeit, Schnelligkeit und Kraft in unterschiedlichen Spielformen.“ Und der Freitag diene besonders der taktischen und technischen Vorbereitung auf das sonntägliche Spiel.

„Wir wollen während des Spiels immer den Ball haben“, so beschreibt Carsten seine Spielphilosophie. Und die sei eines der wichtigsten Ziele, die zu erreichen das Mannschaftskollektiv vereinbart hätte. „Wenn wir den Ball nicht haben, setzen wir alles daran, ihn zu erobern. Und dann spielen wir technisch so gut und taktisch so clever, dass wir ihn möglichst lange behalten. Denn nur wenn wir den Ball haben, können wir das Spiel bestimmen, können Tore erzielen und Erfolge erringen.“ Auf das Erreichen der Hoheit auf dem Platz richtet Carsten seine Trainingsarbeit aus.

Zur Information über die jeweils nächsten Gegner telefoniert er gern mit den Trainern von FC Gievenbeck und Preußen Münster II, vor allem weil deren Teams immer vorher gegen die Mannschaften spielen, die unmittelbar danach gegen uns antreten müssen. Ein großer Teil unserer Spieler legten allerdings nicht so großen Wert auf diese Informationen, weil sie lieber agieren und auf die gegnerische Mannschaft einwirken wollten, statt zu reagieren und sich deren Spielstil zu unterwerfen.

„Nun, darauf müssen wir schnellstens reagieren“, antwortet er, nachdem ich ihn gefragt hatte, wie er damit umgehe, wenn sein taktisches Konzept zu scheitern drohe. „Norbert konzentriert sich zu Beginn des Spiels nur auf den Gegner. Er soll beobachten, ob unsere Planungen Erfolg versprechen, ob unsere Vorstellungen zu der Grundordnung des Gegners und zu seiner Spielausrichtung passen. Trifft das nicht zu, müssen wir unsere taktischen oder personellen Aufstellungen eben ändern.“

Nun gäbe es ja gewiss auch Spieler, die in eine Formkrise geraten, merke ich an, und frage ihn, wie er damit umgehe. Er reagiere nicht sofort, vor allem nicht in einer Phase gutklassiger Spiele. Dann stelle er die Mannschaft auch nicht um oder wechsele Spieler aus. „Wenn dann ein Spieler ´mal schlechter spielt, gebe ich ihm auch noch die nächste Chance. Wenn ich dann aber merke, da hat einer ein Formtief, dann suche ich das Gespräch mit ihm, um die Ursachen des Tiefs zu ergründen und abzustellen.“ Gelänge das nicht, dann müsse darauf Rücksicht genommen und dem Spieler eine Pause gegönnt werden. „Denn es hilft weder ihm noch der Mannschaft, wenn er nicht konzentriert arbeiten kann.“

Als ich bemerke, dass er meiner Beobachtung nach während eines Spiels ziemlich ruhig wirke, antwortet er, leicht überrascht wirkend: „Das ist sehr interessant, dass du das sagst. denn ein Teil der Mannschaft gab mir das Feedback, dass ich viel zu laut sei. Ich meine hingegen auch, dass ich eher ruhig bin während des Spiels und nur gelegentlich ´mal zu laut.“ Aber dessen ungeachtet sei es ohnehin sehr fraglich, ob Traineranweisungen während eines Spiels überhaupt die Adressaten erreichten, eine Studie beziffere das mit allenfalls 7%. „Deshalb kann man vieles auch vernachlässigen. Ich bin nämlich der festen Meinung, dass Fußball sonntags während des Spiels ein ´players game´ ist. Da müssen die Spieler möglichst selbständig ihre Arbeit verrichten. Der Trainer kann nur ganz kurz vor dem Spiel und ganz kurz in der Halbzeitpause einige wesentliche Dinge ansprechen, ansonsten hat er nur geringen Einfluss auf die Handlungen der Spieler. Der Trainer muss während der Trainingswoche Einfluss auf die Qualität des mannschaftlichen Spiels nehmen. Während des Spiels am Sonntag sind diese Möglichkeiten eher gering.“

Carsten bringt seine Spieler dazu, den Körperstatus untersuchen und Leistungsdiagnostik durchführen zu lassen. Insofern wirkt er kontrollierend auf seine Spieler. Verhaltenskontrollen jedoch lehnt er ab, er baut diesbezüglich auf die Eigenverantwortung der Spieler. Er erwartet von ihnen, dass sie sich gewissenhaft auf ein Spiel vorbereiten und mit ihren körperlichen und mentalen Ressourcen haushalten. Carsten will als Trainer sportlicher Anleiter und Ideengeber seiner Spieler und kein ständiger Kritiker sein.

In den drei Jahren seines Vertrags bei uns würde Carsten gern in die westfälische Oberliga aufsteigen. Bei der Frage nach seinen persönlichen sportlichen Zielen hält er sich eher bedeckt. Er betrachte sein Trainerdasein eher als ambitioniertes Hobby denn als ständiges Erklimmen ranghöherer Stufen. Er sei gerne Trainer. Bewerben oder sich um höhere Aufgaben reißen würde er sich aber wohl nicht. „Ich weiß nicht, ob es für mich das Richtige wäre, noch höher oder wesentlich höher zu arbeiten, weil ich eher ein Typ bin, der gern nach dem Spiel oder Training gemeinsam mit der Mannschaft ein Bier trinkt und dabei über viele andere Dinge spricht als über Fußball.“

Nach seiner aktiven Zeit beim TuS spielte Carsten fünf Jahre lang für Davaria Davensberg. Er musste dann seine Spielerkarriere aufgrund einer Verletzung beenden und wurde Co-Trainer in Davensberg. Danach trainierte er die Erste des SV Rinkerode, dann für ein dreiviertel Jahr wieder Davaria Davensberg, später den BSV Roxel und jetzt eben wieder unseren TuS.

Carsten besitzt die Trainer-B-Lizenz und bildet sich turnusgemäß alle drei Jahre fort. Seine private Fortbildung darüber hinaus bewertet er allerdings als wesentlich effektiver: „Ich habe Sportwissenschaft studiert, ich habe im Bereich der Sportwissenschaft gearbeitet, ich lese viele Bücher über Fußball, Fußballtrainer und Trainingsarbeit, ich höre und sehe unterschiedliche sportwissenschaftliche und sportpsychologische Beiträge. Und das bringt mich wesentlich weiter als die Teilnahme am Fortbildungsseminar in Kaiserau.“

Carsten ist verheiratet, er wohnt in Rinkerode und arbeitet als Lehrer am Berufskolleg in Recklinghausen, wo er die Fächer Bautechnik und Sport unterrichtet. Während und nach seinem Studium arbeitete er zwei Jahre lang im Bereich der Leistungsdiagnostik und der Bewegungsanalyse.

Er liest gern, wobei der Lesestoff häufig sich dem Fußballsport oder dem Sport allgemein widmet. „Der Fußball nimmt schon enorm viel Platz ein in meinem Leben“, bekennt er. Und dann bedankt er sich ausdrücklich herzlich bei seiner Frau, die sehr viel Verständnis dafür aufbrächte.

Diese Gesprächswiedergabe schrieb Epi Bördemann

Quelle: TuS Aktuell Nr.6

(ab, 20.10.2016)