Was ist sexualisierte Gewalt ?

Sexualisierte Gewalt liegt immer dann vor, wenn ein Erwachsener oder Jugendlicher oder auch ein Kind ein Mädchen oder auch Jungen dazu benutzt, die eigenen Bedürfnisse mittels sexualisierter Gewalt auszuleben.

Dies kann durch Worte, Gesten, Bilder oder Handlungen mit oder ohne direkten Körperkontakt geschehen. Täter und Täterinnen nutzen die eigene Machtposition und die Abhängigkeit der Betroffenen, ignorieren deren Grenzen und sind den Betroffenen meist bekannt. Sie sehen ihr Gegenüber meist nur als Objekt. Ihr Vorgehen ist in der Regel lange geplant und vorbereitet und somit

eine bewusste Tat. Es ist keinesfalls ein „Ausrutscher“ oder ein „Versehen“. Zudem handelt es sich selten um ein einmaliges Vorgehen, sondern fast immer um eine Wiederholungstat. Die Täter und Täterinnen agieren durch gezielte Ansprachen entweder mit Drohungen oder mit Versprechungen und Belohnungen. In der Regel kennen sie die Wünsche, Vorlieben oder Probleme ihres Gegenübers und nehmen diese gezielt für ihre Vorhaben auf.

Im Strafrecht wird sexualisierte Gewalt weitestgehend unter den „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“ – erfasst

(Strafgesetzbuch, §§174 – 184g).

Sexualisierte Gewalt wird von Männern und seltener auch von Frauen aller sozialen Schichten, aller Berufsgruppen, aller Nationalitäten und aller Altersstufen verübt. Die Gewalt betrifft alle Altersgruppen der Mädchen und Jungen, jedoch verstärkt vom Vorschulalter bis zur Pubertät. Es gibt keine „äußeren Erscheinungsmerkmale“, an denen Menschen erkannt werden können, die andere Menschen sexuellmissbrauchen. Oft ist der Täter ein Mann mit tadellosem Ruf und gilt als guter Ehemann und Vater. Vielleicht ist er religiös oder politisch aktiv, beruflich erfolgreich oder er engagiert sich besonders für Kinder; ein Mann, dem niemand zutrauen würde, dass er sich an Mädchen oder Jungen oder beiden vergreift. In den meisten Fällen von sexuellem Missbrauch steht nicht die sexuelle Befriedigung im Vordergrund. Es geht um den Missbrauch von Macht durch sexuelle Gewalt. Die Sexualität wird als Mittel, sozusagen als „Waffe“ benutzt, um Macht auszuüben. Sexueller Missbrauch ist nicht eine gewalttätige Form von Sexualität, sondern eine sexuelle Form von Gewalttätigkeit. Beim sexuellen Missbrauch benutzt der „Machtvolle“ seine Überlegenheit, um dem „Machtlosen“ Gewalt anzutun. Wenn eine Person oder Gruppe viel mehr Macht hat als eine andere, ist auch immer das Risiko gegeben, dass diese Macht missbraucht wird. In unserer Gesellschaft haben Männer mehr Macht als Frauen und Erwachsene insgesamt mehr Macht als Kinder: Am größten ist das Machtgefälle zwischen Männern und Mädchen. Dieses Machtgefälle ist ein bestimmender Faktor für das besonders große Ausmaß sexueller Gewalt, die den Lebensalltag vieler Mädchen prägt.

Kinder und Jugendliche können sehr wohl zwischen einer freundschaftlich sportlichen Zuwendung und einer unangenehmen Berührung mit sexuellem Hintergrund unterscheiden. Sie können jedoch häufig diese Grenzüberschreitungen nicht in Worte fassen und sind überfordert, Widerstand zu leisten.

Deshalb benötigen sie die Unterstützung von Erwachsenen: Diese sollten ihre vielfältigen und meist versteckten Signale wahrnehmen und die Verantwortung für die weiteren Maßnahmen übernehmen.

„Alle Fachleute sind sich heute einig, dass Vernachlässigung, sexualisierte Gewalt und Gewalt traumatisch sind.“ Laut der Psychoanalytikerin Luise Reddemann erleben Betroffene sexualisierte Gewalt als ein extremes, überflutendes Ereignis, dem sie nicht ausweichen können. Es ist durch Gefühle wie Angst, Erregung, Hilflosigkeit und Ohnmacht gekennzeichnet. Kinder und Jugendliche wissen nicht, was sie tun sollen und können das Geschehene nicht in die ihnen bekannten Erfahrungen einordnen. Sie können die Gewalterfahrungen daher nicht alleine verarbeiten.
Häufig werden sie von Erinnerungen „überflutet“ (sie erleben das Geschehene wie in einem Film wieder), haben Albträume, Schlafstörungen oder reagieren auf manche Situationen mit einer derartigen Heftigkeit, die nicht im Verhältnis zu der vermeintlich Geringfügigkeit des Anlasses steht. So vermeiden Sie auch häufig Situationen, die Erinnerungen an die sexualisierte Gewalterfahrung hervorrufen. Mögliche Symptome können auch sein: Konzentrationsstörungen, extreme Müdigkeit, übertriebene Wachsamkeit, Schreckreaktionen, Reizbarkeit und Wutausbrüche als Zeichen extremer Hilflosigkeit. Betroffene Kinder und Jugendliche versuchen zudem, durch eine der nachfolgend beschriebenen Verhaltensweisen Kontrolle über ihre Gefühle zu bekommen, um das Erlebte so zu kompensieren, wie beispielsweise:

 Rückzug von Aktivitäten und Vermeidungsverhalten

 extremes Leistungsverhalten

 häufige „geistige Abwesenheit“ und auffällige „Erinnerungslücken“

 Suchttendenzen (Computer, Essen, Alkohol, Drogen etc.).

Jedoch können diese Anzeichen auch auf andere Belastungen von Kindern oder Jugendlichen, zum Beispiel im Familiensystem oder in dem sozialen Umfeld hinweisen. Dies bedeutet: Es gibt keine typischen Symptome nach (sexualisierter) Gewalt-Erfahrung. Allerdings ist es jede Verhaltensänderung wert, hinterfragt zu werden. Das Umfeld sollte daher mit Verständnis reagieren und versuchen, die Sprache der Betroffenen zu verstehen. Es sollte bemüht sein, Ursachen für auffällige Verhaltensänderungen durch einfühlsame Fragen zu erforschen. Sexualisierte Gewalterfahrung sollte dabei als eine von vielen Möglichkeiten in die Überlegungen mit einbezogen werden.

Unabhängig von der rechtlichen Situation in Sachen Herstellung und Verbreitung pornografischer Schriften, können viele Kinder und Jugendliche durch den Inhalt solcher Werke geschädigt werden. Denn auch wenn einige der Betroffenen möglicherweise in der Lage sind, aufgrund ihrer Konstitution das Gezeigte zu verarbeiten:

Eine Vielzahl von Kindern und Jugendlichen können dies häufig nicht!

In Cliquen fehlt zudem oft der Mut, die Handlungen zu stoppen und eigene Befindlichkeiten einzuräumen.

Was bleibt, sind Gefühle von Hilflosigkeit und Ohnmacht mit Bildern, die nicht erklärt werden und belasten.

Hier müssen Verantwortliche aktiv werden und eingreifen!

Wo liegen die Grenzen?

Wo aber endet freundschaftlich spielerischer Spaß und wo beginnt ein Übergriff? Wann und wo ist ein Einschreiten notwendig?

Viele Trainerinnen und Trainer, Übungsleiterinnen und -leiter sind unsicher und fragen sich: „Darf ich Kinder und Jugendliche zum Beispiel bei den Hilfestellungen noch anfassen oder im Bedarfsfalle trösten?“ Die Antwort darauf ist eindeutig: Natürlich dürfen und sollen Sie dies weiterhin tun! Denn Hilfen im Training sind unabdingbar und Kinder und Jugendliche brauchen einen zugewandten und wertschätzenden Umgang. Die Einhaltung ihrer persönlichen Grenzen muss dabei jedoch immer oberste Priorität haben. Es geht darum, im Umgang mit Kindern und Jugendlichen sensibler zu werden, ihre Eigenheiten aufmerksam wahrzunehmen und ihre Bedürfnisse und Wünsche ernst zu nehmen und zu respektieren.

Spezifische Erscheinungsbilder sexualisierter Gewalt im Sport sind zum Beispiel:

 Grenzverletzungen bei der Kontrolle der Sportkleidung

Übergriffe exhibitionistischer Art in der „Umziehsituation“ oder beim gemeinsamen Duschen

 Übergriffe bei der Hilfestellung

 Verletzungen der Intimsphäre durch Eindringen in Umkleiden und Duschen

Ausnutzung der engen Beziehung zwischen Sporttreibenden und Trainerin oder Trainer

Grenzverletzungen im Rahmen von Wettkampffahrten und Ferienfreizeiten (inbesondere mit Übernachtungen)

 zwischen Betreuern und Betreuerinnen

 zwischen Betreuerinnen oder Betreuern und Kindern oder Jugendlichen

 zwischen Funktionsträgerinnen und -trägern sowie Sportlerinnen und Sportlern

 zwischen Angestellten von Sportstätten und Kindern und Jugendlichen

 zwischen Kindern und Jugendlichen

 zwischen Kindern, Jugendlichen und Fremden

 im privaten Umfeld

Die Formen sexualisierter Gewalt im Sport unterscheiden sich nicht grundlegend von denen in anderen Bereichen der Gesellschaft. Es gibt allerdings Faktoren, die sexualisierte Gewalt im Sport begünstigen, das heißt potenziellen Täterinnen oder Tätern Möglichkeiten der Annäherung und des „Austestens“ eröffnen: 

 körperzentrierte sportliche Aktivitäten

 Notwendigkeit von Körperkontakten

 spezifische Sportkleidung

 die „Umziehsituationen“

 die Rahmenbedingungen zum Beispiel bei

− Fahrten zu Wettkämpfen und Freizeiten mit Übernachtungen

− abgeschirmte Situationen in der Halle

− Einzelbesprechungen, Einzeltraining

 Rituale wie Umarmung zum Beispiel bei Siegerehrungen

 enge Bindung der Kinder und Jugendlichen an Trainerinnen und Trainer.

Die Täterinnen und Täter gehen dabei oft nach derselben Strategie vor. Sie überschreiten die Grenzen des Gegenübers in kleinen Schritten und beobachten seine Reaktionen. Mit jedem Schritt schätzen sie ab, ob sie „weitergehen“ können.

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